Toll, ein anderer macht’s!

Toll, ein anderer macht’s!

«Carte blan­che» der Volksstimme vom 20. Juni 2024

Vor wenigen Wochen fand eine Tagsatzung des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) statt. Aufgrund des 25-Jahre-Jubiläums des Verbands war diese – entgegen der sonstigen Gewohnheit – keinem konkreten Einzel-, respektive Sachgeschäft gewidmet. Stattdessen stand sie unter dem übergeordneten Thema «Dialog zwischen Gemeinden und Kanton». Die Zusammenarbeit der verschiedenen politischen Ebenen und Rollen von Regierung und Parlament führt immer mal wieder zu Reibungen. Mit meiner Doppelrolle als Land- und Gemeinderätin kommt mir oft eine Scharnierfunktion zwischen den Ebenen und Rollen zu. Ab und an gilt es, beidseitig Verständnis für die Situation des Gegenübers zu wecken und Brücken zu bauen. Denn für unsere Einwohnerinnen und Einwohner sind die im Hintergrund ablaufenden Klärungen bezüglich Zuständigkeit kaum von Belang. Es sei denn, diese führen zu verlangsamten Abläufen. Der Bevölkerung und unserer Umwelt zuliebe gilt es, sich immer wieder bewusst zu werden, dass Kanton und Gemeinden gemeinsam für ein lebenswertes Baselbiet im Einsatz sind, respektive sein sollten. Ein zwischenzeitliches Zuständigkeitspatt kam an der letzten Landratssitzung zum Vorschein. 

Das heutige Alters- und Pflegegesetz (APG) ist seit 2018 in Kraft. Es verpflichtet die Gemeinden, sich in Regionen zusammen zu schliessen und diverse Pflege- und Altersbedürfnisse gemeindeübergreifend anzugehen. Paragraph 32 regelt die Zuständigkeit für das betreute Wohnen. Die den Gemeinden zugeordneten Kosten von Pflege, Betreuung und Ergänzungsleitungen sind gemäss APG die ersten fünf Jahre von der ursprünglichen Wohngemeinde zu leisten und fallen danach in die Zuständigkeit der neuen Wohnsitzgemeinde ( = Standortgemeinde des betreuten Wohnen). Die Steuern fallen hingegen sofort der neuen Wohnortsgemeinde zu. Obwohl diese Regel damals als Kompromiss der Gemeinden eingebracht worden war, zeigt sich nun in der Umsetzung, dass einige Gemeinden aufgrund der möglichen Kostenfolgen trotz aufkommendem Bedarf zögern, ein Angebot zu errichten. Ein vom Landrat vor über einem Jahr an die Regierung überwiesenes Postulat beauftragte diese daher, das Gesetz in Absprache mit den Gemeinden anzupassen. So fand im 2023 eine Tagsatzung unter Beisein des damaligen Regierungsrats Thomas Weber statt. Bis auf drei Gemeinden sprachen sich alle für eine Gesetzesänderung aus. Der Fächer an Lösungsvarianten wurde zudem auf zwei verringert, doch fand noch keine finale Präferenz statt. 

Obgenannte Titel-Aussage wird gerne als karikierende Ausschreibung für das Wort «TEAM» benutzt. Genau diese Haltung zeigte verblüffenderweise unsere Regierung. Der vom Parlament zugeworfene Auftragsball wurde in obiger Manier weiter geworfen. Die Regierung beantragte, den Parlamentsauftrag abzuschreiben und die Gemeinden zur Initiierung des weiteren Prozesses für zuständig zu erklären. Dies wiederum fand im Parlament kein Gehör. Uns so muss demnach der Kanton doch noch in die Rolle des Gesprächseinladenden schlüpfen, um in einem gemeinsamen Projekt die Restfragen zu klären.

Andrea Heger, Gemeindepräsidentin und Landrätin EVP, Hölstein

Kontrollieren oder vertrauen?

Kontrollieren oder vertrauen?

«Carte blan­che» der Volksstimme vom 9. Juni 2024

«Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.» Diese Redewendung wird, wenn ich das leicht misstrauisch Wikipedia glauben darf, dem russischen Politiker und Revolutionär Lenin zugeschrieben. Wenn man seine Werke durchforstet, was ich noch nie gemacht habe, findet man zwar diesen Ausspruch nirgendwo. Es sei aber belegt, was ich nicht persönlich kontrolliert habe, dass Lenin oft das russische Sprichwort «Vertraue, aber prüfe nach» verwendet habe. Das führte dann zur anfangs erwähnten Zuschreibung.

Ich war etwas überrascht über dieses Ergebnis, weil ich bei meiner Suche nach der Bedeutung und der Herkunft dieser Redewendung einen wesentlich anderen Ursprung erwartet hatte. Viel eher hätte ich mir vorstellen können, dass dieser Ausspruch von einem Feldherren oder einem hierarchisch orientierten Firmengründer zu Beginn der Industrialisierung stammen würde. Dem ist aber offenbar nicht so.

Aber warum komme ich überhaupt dazu, mich mit dieser Redewendung zu befassen? Ich erlebe, dass in der Politik ein ansehnlicher Teil der Zeit benötigt wird für Untersuchungen, Kontrollen, Prüfungen, Überprüfungen, Nachprüfungen, Anschuldigungen, Rechtfertigungen, Erklärungen, Dementierungen, Verteidigungen, Deeskalationen und vielem Ähnlichen. Zeit, die oft fehlt, um wichtige Themen vorwärts zu bringen und Lösungen zu erarbeiten.

Das Kontrolldenken ist in unseren politischen Strukturen, Prozessen und bei den Akteuren präsent. Und somit verbringen gerade auch unsere Exekutiven sehr viel Zeit damit, ja keinen Fehler zu machen oder mit der Rechtfertigung für all das, was sie gemacht und wie sie es gemacht haben und auch für das, was sie noch nicht gemacht haben und warum sie es noch nicht gemacht haben.

Für viele Gemeinden stellt sich bei verschiedenen sich stellenden Aufgaben die Frage, ob diese nicht besser zusammen mit anderen Gemeinden bewältigt werden können. In den letzten Jahren sind so auch einige gute Beispiele von funktionierender übergemeindlicher Zusammenarbeit entstanden. Am Anfang jeder Zusammenarbeit standen Gespräche. Das Vertrauen, dass alle auf das gleiche Ziel hinarbeiten wollen, musste zuerst aufgebaut werden. Aber auch wenn die Leistungsvereinbarung unterschrieben, der Zweckverband gegründet oder der Zusammenarbeitsvertrag von der Gemeindeversammlung bewilligt ist, ist die Arbeit an einer erfolgreichen Zusammenarbeit nicht abgeschlossen. Es reicht nicht, ab dann bloss die vereinbarten Regeln und Kostenaufteilungen zu kontrollieren. Denn Misstrauen kann zum Sand im Getriebe werden, der verhindert, dass ein gemeinsames Projekt langfristig weiterentwickelt wird oder überhaupt überlebt. Deshalb ist es wichtig, miteinander weiter an einer gemeinsamen Vertrauensbasis zu arbeiten.

Kontrolle ist wichtig! Gerade auch, wenn es um die Sicherung von glaubwürdigen und vertrauenswürdigen demokratischen Prozessen geht. Kontrolle darf aber nicht als Pflicht zum Misstrauen verstanden werden. Deshalb wage ich es, die anfängliche Redewendung etwas auf den Kopf zu stellen: Kontrolle ist gut, Vertrauen aufbauen ist besser!

Peter Gröflin, Gemeindepräsident Gelterkinden, EVP

44+60+1 Geschichten

44+60+1 Geschichten

«Carte blan­che» der Volksstimme vom 8. Februar 2024

Eigentlich wollte ich hier über etwas ganz Anderes schreiben. Aber wie das Leben oft so spielt, drängte sich plötzlich eine andere Geschichte in den Vordergrund. Bei dieser wusste ich zuerst nicht, ob ich mich kopfschüttelnd aufregen soll oder ich darüber lachen kann. Ich habe mich dann für zweites entschieden.

Kürzlich war ich auf dem nächtlichen Heimweg von der Buchvorstellung im Marabu, an der vor vielen Interessierten das neue Buch der Ortssammlung Gelterkinden «Gelterkinder Geschichte in 44+60 Stichwörtern» präsentiert wurde. Im Kopf hatte ich noch die eine oder andere nachdenklich stimmende oder auch zum Schmunzeln anregende Begebenheit, die wir an diesem Abend aus dem viele Perlen enthaltenden neuen Werk zu hören bekamen. Da sah ich nicht weit von meinem Daheim einen gelbbewesteten Mann emsig die Strasse auf und ab gehen. Da mir nicht bewusst wäre, dass die «Gilet jaunes» nun auch in Gelterkinden einen Ableger haben, befürchtete ich eher irgendein unvorhergesehenes Ereignis, dass sich während meiner Abwesenheit in unserer Strasse ereignet hatte. Ein paar Schritte weiter konnte ich aber erleichtert alle meine Mutmassungen wieder verwerfen, da ich erstens den Mann und zweitens den Grund des Gilettragens erkannte.

Auf seiner Sicherheitsweste leuchtete der Schriftzug einer ortsbekannten politischen Vereinigung, der ihn als Wahlkampfhelfer zu erkennen gab. Unter dem Arm zeigte sich ein kleiner Stapel mit Kunststoffplakaten, auf denen vier Köpfe zu sehen waren. Kurz vor der Einfahrt zu unserem Haus verabschiedeten wir uns und ich wünschte ihm noch einen schönen Abend. Den hatte er offenbar.

Als meine Frau am nächsten Tag als Erste das Haus verliess, kam sie mit zwei mir seit letztem Abend bekannten Plakaten wieder zurück. Die hingen offenbar nach unserer Verabschiedung eine kurze Zeit am Beleuchtungskandalaber in unserer Hauszufahrt, quasi an unserem nicht existierenden Gartentor, bis sie mangels genügender Befestigungstechnik schon in der ersten Nacht langsam, aber stetig auf den Boden abrutschten.

Die Umgebung um unser Haus herum versuchen wir eher mit Bäumen, Sträuchern und Blumen zu verschönern, als mit Wahlplakaten. Zudem hat sich in unserem Haushalt bei allen Wahlberechtigten die Vorstellung, welche Namen sie bei den Gemeindewahlen auf die beiden Wahlzettel schreiben werden, schon ziemlich gefestigt. Aus diesen Gründen haben wir die beiden Plakate von ihrem Schattendasein am Fusse der nachbarlichen Gartenmauer befreit, sie wieder entfernt und in unserem Keller zwischengelagert – falls sie noch jemand brauchen sollte.

Ich bin fast etwas gerührt ob der hier angedachten persönlichen Betreuung in meiner politischen Meinungsfindung. Dass ich aber nun bis zum Wahltermin jedes Mal, wenn ich das Haus verlasse oder wieder glücklich nach Hause zurückkehre, diese Plakate studieren soll, scheint mir doch etwas zu viel des Guten.

Vielleicht strapaziert auch das eine oder andere Plakat ihre Nerven. Nehmen Sie es mit Humor – und noch wichtiger: Gehen Sie wählen!

Peter Gröflin, Gemeindepräsident Gelterkinden, EVP