Kontrollieren oder vertrauen?

Kontrollieren oder vertrauen?

«Carte blan­che» der Volksstimme vom 9. Juni 2024

«Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.» Diese Redewendung wird, wenn ich das leicht misstrauisch Wikipedia glauben darf, dem russischen Politiker und Revolutionär Lenin zugeschrieben. Wenn man seine Werke durchforstet, was ich noch nie gemacht habe, findet man zwar diesen Ausspruch nirgendwo. Es sei aber belegt, was ich nicht persönlich kontrolliert habe, dass Lenin oft das russische Sprichwort «Vertraue, aber prüfe nach» verwendet habe. Das führte dann zur anfangs erwähnten Zuschreibung.

Ich war etwas überrascht über dieses Ergebnis, weil ich bei meiner Suche nach der Bedeutung und der Herkunft dieser Redewendung einen wesentlich anderen Ursprung erwartet hatte. Viel eher hätte ich mir vorstellen können, dass dieser Ausspruch von einem Feldherren oder einem hierarchisch orientierten Firmengründer zu Beginn der Industrialisierung stammen würde. Dem ist aber offenbar nicht so.

Aber warum komme ich überhaupt dazu, mich mit dieser Redewendung zu befassen? Ich erlebe, dass in der Politik ein ansehnlicher Teil der Zeit benötigt wird für Untersuchungen, Kontrollen, Prüfungen, Überprüfungen, Nachprüfungen, Anschuldigungen, Rechtfertigungen, Erklärungen, Dementierungen, Verteidigungen, Deeskalationen und vielem Ähnlichen. Zeit, die oft fehlt, um wichtige Themen vorwärts zu bringen und Lösungen zu erarbeiten.

Das Kontrolldenken ist in unseren politischen Strukturen, Prozessen und bei den Akteuren präsent. Und somit verbringen gerade auch unsere Exekutiven sehr viel Zeit damit, ja keinen Fehler zu machen oder mit der Rechtfertigung für all das, was sie gemacht und wie sie es gemacht haben und auch für das, was sie noch nicht gemacht haben und warum sie es noch nicht gemacht haben.

Für viele Gemeinden stellt sich bei verschiedenen sich stellenden Aufgaben die Frage, ob diese nicht besser zusammen mit anderen Gemeinden bewältigt werden können. In den letzten Jahren sind so auch einige gute Beispiele von funktionierender übergemeindlicher Zusammenarbeit entstanden. Am Anfang jeder Zusammenarbeit standen Gespräche. Das Vertrauen, dass alle auf das gleiche Ziel hinarbeiten wollen, musste zuerst aufgebaut werden. Aber auch wenn die Leistungsvereinbarung unterschrieben, der Zweckverband gegründet oder der Zusammenarbeitsvertrag von der Gemeindeversammlung bewilligt ist, ist die Arbeit an einer erfolgreichen Zusammenarbeit nicht abgeschlossen. Es reicht nicht, ab dann bloss die vereinbarten Regeln und Kostenaufteilungen zu kontrollieren. Denn Misstrauen kann zum Sand im Getriebe werden, der verhindert, dass ein gemeinsames Projekt langfristig weiterentwickelt wird oder überhaupt überlebt. Deshalb ist es wichtig, miteinander weiter an einer gemeinsamen Vertrauensbasis zu arbeiten.

Kontrolle ist wichtig! Gerade auch, wenn es um die Sicherung von glaubwürdigen und vertrauenswürdigen demokratischen Prozessen geht. Kontrolle darf aber nicht als Pflicht zum Misstrauen verstanden werden. Deshalb wage ich es, die anfängliche Redewendung etwas auf den Kopf zu stellen: Kontrolle ist gut, Vertrauen aufbauen ist besser!

Peter Gröflin, Gemeindepräsident Gelterkinden, EVP